TANZZEIT 7 – Das Programm

Nils Röhner | Dust

 

Globalisierung, Technik, Überwachung: Die Welt wird enger. Und doch fühlt sie sich immer komplexer an. Politische, wirtschaftliche und wissenschaftliche Zusammenhänge stehen in verschlungenen Netzwerken neben dem recht persönlichen Beziehungsmiteinander, das uns durch allgegenwärtige Verfügbarkeit ständig näher zusammenrücken lässt. Die Welt in „Dust“, mit eigenen Regeln? Zufall oder Schicksal? Spiel oder der Lauf des Lebens? Chaos oder Ordnung? Die Choreografie besteht aus einzelnen Bausteinen, welche sich nach bestimmten Parametern immer wieder neu strukturieren können. Ein solch Parameter ist ein Saugroboter. Als technologisierte Entität wird er im fiktiven Universum der Darstellenden nicht nur selbst zum Spieler, sondern auch zur unvorhersehbaren Sicherheit. Obwohl die Bewegungsimpulse aus einer Programmierung entstehen, sind es dennoch die Begrenzungen und Störfaktoren des Raums, die die Wege vorgeben. Versuche auszubrechen, gibt es viele. Zumindest, so lange der Strom reicht.

 

Nils Röhner, geboren 1994 in Dortmund, studierte zeitgenössischen Tanz an der Codarts University for the Arts in Rotterdam. Anschließend tanzte er beim Scapino Ballett Rotterdam, bevor er am Theater Nordhausen engagiert wurde. Zur Spielzeit 2020/21 wechselte er ans Staatstheater Braunschweig und ist seit 2022 als freischaffender Tänzer und Pädagoge tätig.

 

Choreografie von Nils Röhner, in Zusammenarbeit mit den Tänzern | Tanz: Fenia Chatzakou, Johannes Lind, Mariateresa Molino, Anna Degen und Nils Röhner | Bühne & Kostüme: Sabine Mader | Dramaturgie: Ira Goldbecher | Musik: „Who knows where the time goes“ von Nina Simone, “It’s Gonna Rain“ von Steve Reich „Guaracha U.F.O“ von Meridian Brothers, „Big Country“ von Emile „Frenesi (Instrumental Version)“ von Instrumental Big Band Orchestra, Big Band Sounds, „Dusty Road“ von Tag Bari, Fanfare Ciocarlia

Yasmin Schönmann | Worship/Vergötterung

 

Was passiert, wenn Menschen zu viel Macht über uns haben? Folgen wir ihnen ohne nachzudenken, oder beginnen wir irgendwann zu rebellieren? In diesem Stück geht es um die Abwärtsspirale, in die man geraten kann, wenn man jemanden blindlings folgt, ohne Fragen zu stellen. Worship zeigt den Prozess der blinden Bewunderung für jemanden, der allmählich dein Leben übernimmt. Die Hauptfigur findet sich nach und nach in einem Netz wieder, das von ihrem Idol immer fester gesponnen wird. Somit fängt ein Kampf über Kontrolle und Unabhängigkeit zwischen den beiden Figuren an.

Worship ist inspiriert von dem Massenselbstmord in Jonestown, den der Anführer des “Peoples Temple”, Jim Jones, 1978 im südamerikanischen Guyana veranlasste. Jones verband Elemente des Christentums mit sozialistischer Politik, wobei der Schwerpunkt auf der Rassengleichheit lag. Auf ihrem Höhepunkt hatte der Tempel 20.000 Mitglieder und verschiedene Niederlassungen in den Amerikas. Am 18. November 1978 rief Jones in Guyana zu einem Massenselbstmord auf, um weltweit zu zeigen, dass es sich nicht lohnt, in unserer grausamen und korrupten Welt zu leben. 909 Menschen starben, weil ihr Anführer es ihnen befahl. Der Massenselbstmord und die Tötungen in Jonestown führten zum größten Einzelverlust an amerikanischen Zivilisten durch eine vorsätzliche Tat vor den Ereignissen des 11. September 2001

 

Yasmin Schönmann ist Tänzerin, Choreografin und Digital Artist mit einem Diplom in Tanz von Iwanson International München und einem Master of Fine Arts in Tanz und Technologie von der New York University, mit Arbeitsschwerpunkt in Berlin.

Nach ihrem Diplomabschluss 2015 produzierte Yasmin ihre eigene Show `H.O.M.E.’, eine Arbeit über Heimat und Identität im Einstein Kultur Theater in München. Danach zog es sie nach New York, wo ihre Choreografien unter anderem beim Battery Dance Festival, Alvin Ailey Citigroup Theater, Jack Crystal Theater und Salvatore Capezio Theater, sowie bei den InHale Series in Philadelphia gezeigt wurden. Für ihre choreografischen Recherchen erhielt Yasmin mehrere Stipendien, darunter 2023 und 2021 das Dis-Tanzen Solo, 2021 das GVL-Stipendium, das Pandemic Healing Arts Stipendium (2020), die Danspace Residency (2017) und Open Studios für junge Choreographen von Tanztendenz München e.V. (2014). Mit „Bodies of Resistance“ war Yasmin 2020 Teil des Digital Lab am HAU – Hebbel am Ufer und wurde 2021 mit den Produktionen „SisterS“ und „Worship“ zum Festival Chorégraphique International de Blois nach Frankreich eingeladen. Seit 2023 ist Yasmin auch teil der Tanzinitiative Brandenburg und war Residentin in der Fabrik Potsdam im Rahmen der Tanz Weit Draußen Residenzen.

Als Künstlerin interessiert sie sich für die menschliche Erfahrung. Ihre Arbeit dreht sich um unsere emotionale Welt, menschliche Verbindungen und politische und soziale Themen.

Chiara Pareo | Sometimes I wake up in the middle of the night and I stop all the clocks

 

Manchmal frage ich mich, wie es wohl wäre, die Zeit anzuhalten. Mitten in der Nacht aufzuwachen und alle Uhren zu stoppen. Die Vergangenheit zu stoppen, die Erinnerungen mit ihrer Nostalgie, dieses Gefühl zurückgehen zu wollen. Die Zukunft zu stoppen, die Erwartungen, Ziele und Pläne, die Sorgen. Endlich diese Schwere dessen loszulassen, wer ich mal war und wer ich mal sein werde.

Mein Stück spiegelt diesen Moment wider. Die Essenz des Nichts. Die kurze Abwesenheit dessen, was wir als Zeit verstehen.

 

Gebürtig aus Rom, absolvierte Chiara Pareo ihre Tanzausbildung an der Balletto di Toscana in Florenz. Ihre ersten professionellen Erfahrungen sammelte sie am Junior Balletto di Toscana zwischen 2014 und 2016. Seit der Spielzeit 2017/18 ist sie Mitglied des Staatsballett Hannover, wo sie u.a. in Choreografien von Jörg Mannes und Marco Goecke tanzte. „Sometimes I wake up in the middle of the night and I stop all the clocks“ ist Chiara Pareo’s choreografisches Debüt, welches im Rahmen von All You Can Dance an der Staatsoper Hannover Premiere hatte.

 

Choreografie: Chiara Pareo | Tanz: Jisoo Park, Sofie Vervaecke, Giada Zanotti, James Nix, Félix Bossard | Musik: Félix Bossard (Auftragskomposition)

Laura Kassé | Cord

 

CORD ist ein Tanzsolo, welches Erfahrungen und Emotionen von Schwangerschaft, Geburt und Mutterschaft in Bewegung übersetzt und das Publikum einlädt, in einen individuellen Prozess von Frau-Sein und Mutter-Werden einzutauchen. Das Stück beschäftigt sich mit der Verbindung zwischen verschiedenen weiblichen Energien sowie mit der Mutter-Kind-Bindung. Zwischen Verzweiflung, Ohnmacht und Liebe bewegt sich die Frau in einer Welt des Gebens und Nehmens und versucht darin, sich mit ihren vielen Rollen und Verantwortlichkeiten zu positionieren. Die Kombination von urbanen und zeitgenössischen Tanzelementen macht es möglich, die unterschiedlichen Dynamiken und Ausdrucksstärken des Themas widerzuspiegeln. Vor allem House Dance als Bewegungsqualität spielte eine wesentliche Rolle in der tänzerischen Recherche und Produktion des Stücks.

 

Laura Kassé ist Tänzerin und Choreografin, die v.a. mit Techniken der Stile House Dance, Locking, Breaking und HipHop arbeitet. Sie choreografierte und performte u.a. ihr Solo “CORD”  beim Festival Urban Feminism (Tanz im August) in Berlin, das Duett “Yowla” mit Mbegne Kassé beim Festival Kaay Fecc in Dakar sowie das Duett “uterus affairs” mit Lisa Ennaoui bei neworks des ada-Studios in Berlin und beim Urban Academy Dance Festival (Karlstorbahnhof) in Heidelberg. Als Performerin arbeitete sie bereits mit verschiedenen Künstler*innen wie Kat Valastur, Rain Kencana und Svea Schneider-Sierra zusammen. Seit 2010 unterrichtet sie im Klassen- und Workshop-Format. Sie ist Gründungsmitglied des Walashé-Kollektivs, mit dem sie Performances und Shows choreografiert und performt, aber auch Tanzveranstaltungen und Trainings-Sessions organisiert. Das Kollektiv setzt sich dabei u.a. für die Positionierung von Frauen in den männerdominierten Strukturen des HipHop ein.

 

Choreografie, Tanz & Musikschnitt: Laura Kassé |Dramaturgische Assistenz: Mbegne Kassé |Musik: Yatao – Walking | Branko, Iúri Oliveira – CTG

Meggie Blankschyn | The craftly uncanniness behind the semblance of things

 

„The craftly uncanniness behind the semblance of things“ dreht sich um die Bildsprache der Dunkelheit in der das Ego mit dem Gewicht seiner Weltlichkeit sowie seiner ungelebten Möglichkeiten konfrontiert wird, aber auch mit einer innigen und tiefen Kraft, dem Willen, in dieser Welt zu existieren.
“I am terrified by this black thing that sleeps in me, all day I feel its softness, its feathery turnings;
its malignity.” – Sylvia Plath

Als Menschen sind wir so sehr fließend, „lebendige Wasser“, immer in Bewegung, langsam strömend und zuweilen stark drängend. Der Körper stampft, krampft, explodiert, schneidet, sticht, streckt sich, verflechtet sich sanft.

Dunkelheit stellt das (Un-)sichtbare in Frage, das all das Magische enthält und ist Quelle all der unbekannten und dämonischen Kräfte. Dunkelheit löscht alles aus, absorbiert alles: Formen und Feuer, Tiere und mich selbst, wie leicht sie das Lebende vereint. Dunkelheit ist das allererste und vielleicht das allerletzte Stadium im menschlichen Leben.

Mit dieser Arbeit hinterfrage ich unsere Beziehung zu den Schattenseiten des Lebens, wie Orte des Schmerzes uns von uns selbst und anderen isolieren, bis wir uns wieder annähern und zeigen wer wir mit unseren hellen und dunklen Seiten sind – lebendig.

Meggie Blankschyn wurde in Norddeutschland geboren und begann ihre Ausbildung an der Tanzfabrik Berlin. 2018 begann sie ihr Studium des zeitgenössischen Tanz an der Budapest Contemporaray Dance Academy und entdeckte neben zeitgenössischen Techniken ungarischen Volkstanz und lyrische Tanzformen. Sie begann bereits kurze Stücke zu choreografieren und ging 2020 als Erasmus – Studentin an die La Manufacture – Haute école des Arts de la scène in Lausanne, Schweiz. Dort lernte sie verschiedene Künstler:innen, wie David Zambrano, Jonathan Burrows, Krisa Parkinson, Shelly Senter (Trisha Brown Company), Horacio Macuacua, Yasmine Hugonnet, Loic Touzé kennen.
Nach ihrem Austauschjahr wurde sie als Exzellenzstudentin an der La Manufacture aufgenommen und tanzte in ihrem Abschlussjahr in Stücken von Salva Sanchis und Alma Söderberg.

Aktuell arbeitet sie mit Judith Sanchez Ruiz (JSR Company), Radical Empathy (SK), Bloom Bloom
Company (CH) und kreiert eigene Projekte zwischen Berlin und Lausanne
.

Sofie Vervaecke | Ja.Nein.Vielleicht!Oder?

 

Wir alle kennen sie. Diese vielleicht beängstigenden, seltsamen, lustigen, zufälligen Gedanken, die wir alle täglich haben, aber wissen, dass wir sie nicht ausleben sollten. Wie zum Beispiel ein Kunstwerk in einem Museum zu berühren, auf dem steht: Nicht berühren! Oder den Ballon eines Kindes zu zerplatzen. Was wäre, wenn wir für einen Tag lang diese Gedanken ausleben könnten? Was würden Sie tun?

 

Sofie Vervaecke wurde in Belgien geboren und erhielt ihre erste tänzerische Ausbildung an der Königlichen Ballettschule von Antwerpen. Ihren Abschluss absolvierte sie jedoch an der Princesse Grace Akademie in Monte Carlo. Ihr erstes Engagement als professionelle Tänzerin erhielt Sofie Vervaecke am Staatstheater Nürnberg unter der Leitung von Goyo Montero. Dort arbeitete sie mit renommierten Choreografen wie Jirí Kylián, William Forsythe, Hofesh Shechter, Ohad Naharin, Alexander Ekman und Marco Goecke zusammen. Im Jahr 2022 erhielt sie den Bayerischen Kunstförderpreis und wurde vom Tanzmagazin dance europe für ihre Rolle in Goyo Monteros Le Sacre du Printemps als beste weibliche Hauptdarstellerin nominiert. Seit der Spielzeit 2022/23 ist Sofie Vervaecke als Tänzerin am Staatsballett Hannover engagiert.